← Band 3: Politische Online-Kommunikation

 

Einführung: Politische Online-Kommunikation

Voraussetzungen und Folgen des strukturellen Wandels der politischen Kommunikation

Philipp Henn & Dennis Frieß
 

Berlin, 2016
DOI 10.17174/dcr.v3.1 (SSOAR)
 

 

Die Dynamik der Online-Medien ist ungebrochen: Ihr Spektrum erweitert sich und birgt mit neuen Funktionalitäten ein Innovationspotential, das auch politisch genutzt wird und damit einen starken Veränderungsdruck auf die Akteure und Strukturen politischer Kommunikation ausübt. Der Stellenwert von Online-Angeboten für die politische Kommunikation ist merklich gestiegen. Sie sind zum festen Bestandteil von Wahlkämpfen und anderen Kampagnen geworden und aus der alltäglichen politischen Information und Kommunikation nicht mehr weg- zudenken. Für Bürger, professionelle Kommunikatoren, Interessenvertreter und Politiker entstehen neue Möglichkeiten der internen und externen Kommunikation mit erheblichen Chancen und Risiken. Diese Veränderungen erfassen alle politischen Räume, von der lokalen bis zur globalen Ebene. Und sie berühren alle Sphären der Öffentlichkeit, von organisationsinternen bis zu allgemein beobachtbaren Kommunikationsprozessen. Die spezifische Logik der Online-Medien beginnt, die politische Kommunikation zu prägen.

Daraus ergibt sich insgesamt ein grundlegender und tiefgreifender, also struktureller Wandel der politischen Kommunikation (siehe z. B. Dohle, Jandura, & Vowe, 2014; Henn, Jandura, & Vowe, 2016) – mit Folgen für das politische System, die Medien und die Gesellschaft als Ganzes. Dieser Wandel ist mindestens ebenso brisant wie frühere tiefgreifende Veränderungen der politischen Kommunikation, etwa die Herausbildung der frühbürgerlichen Öffentlichkeit oder deren Entwicklung zu einer modernen Öffentlichkeit, die durch Massenpresse und Rundfunk geprägt wurde.

Der strukturelle Wandel der politischen Kommunikation stellt auch die politische Kommunikationsforschung vor Herausforderungen. Sie muss einerseits auf neue Forschungsgegenstände reagieren, muss Voraussetzungen und Folgen des strukturellen Wandels analysieren und erklären. Andererseits sind Online-Medien und die Auswirkung ihrer Ausbreitung nicht nur Objekt der Forschung, sondern auch Instrument und Medium. Sie verändern also die Forschung selbst (siehe Vowe & Henn, 2016).

Mit diesen Herausforderungen und Fragen befasste sich im Februar 2015 in Düsseldorf die Tagung „Politische Online-Kommunikation. Voraussetzungen, Facetten und Folgen des strukturellen Wandels politischer Kommunikation“. Ausgerichtet wurde sie von der Fachgruppe ‚Kommunikation und Politik‘ der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (DGPuK), dem Arbeitskreis ‚Politik und Kommunikation‘ der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft (DVPW) und der Fachgruppe ‚Politische Kommunikation‘ der Schweizerischen Gesellschaft für Kommunikations- und Medienwissenschaft (SGKM). Der vorliegende Sammelband ist aus dieser Tagung hervorgegangen.

Eröffnet wird der Band von Jens Wolling, der in seinem Beitrag Struktureller Wandel der politischen Kommunikation durch die Diffusion von Online-Medien die These vom strukturellen Wandel politischer Kommunikation auf den empirischen Prüfstand stellt. Vor dem Hintergrund der Mediatisierungsthese und integrativer Sozialtheorien greift Wolling eine Reihe von Grundannahmen zum strukturellen Wandel politischer Kommunikation auf, um diese schließlich als Hypothesen zu prüfen.

Im Folgenden gliedert sich der Sammelband in drei Abschnitte. Im ersten Teil finden sich Beiträge, die verschiedene Akteure politischer Kommunikation vor dem Hintergrund des strukturellen Wandels politischer Kommunikation durch Online-Medien betrachten. Isabelle Borucki analysiert in ihrem Beitrag Regierungen auf Facebook: distributiv, dialogisch oder reaktiv? Eine Bestandsaufnahme das Kommunikationsverhalten verschiedener nationaler Regierungen im sozialen Netzwerk Facebook. Während die Kommunikation von politischer Eliten bisher vor allem in der Spezialzeit Wahlkampf betrachtet wurde, nimmt Borucki auch die Normalzeiten in den Blick und untersucht, inwieweit sich hier Unterschiede in den Kommunikationsstrategien der britischen, deutschen und österreichischen Exekutive zeigen. Während Regierungskommunikation über soziale Medien in erster Linie versucht einen Kanal zum Elektorat aufzubauen, sehen sich Interessenorganisation in der Regel unterschiedlicher Stakeholder gegenüber.

Der Beitrag von Paula Nitschke und Patrick Donges Organisations-Umwelt-Dynamiken als Bedingung der Online-Kommunikation politischer Interessenorganisationen geht der Frage nach, unter welchen Voraussetzungen und Bedingungen politische Interessenorganisationen soziale Medien nutzen. Vor dem Hintergrund eines neo-institutionalistischen Organisationsverständnisses, plädieren die Autoren für eine stärke Kontextualisierung von organisatorischem kommunikativen Handeln, indem die Umweltwahrnehmung von Organisation stärker Beachtung findet.

Die kommunikative Vernetzung von Journalisten und Politikern steht im Zentrum des Beitrags Agenda-Building durch Twitter? Eine Analyse der Nutzung politischer Tweets durch Schweizer Journalistinnen und Journalisten von Julia Metag und Adrian Rauchfleisch. Sie widmen sich Twitter-Nutzung von Schweizer Journalisten und der Frage, welche Faktoren die journalistische Verarbeitung von Politiker-Tweets beeinflussen. Eine gänzlich andere Beziehung zwischen Politikern und Journalisten untersuchen Katharina Emde und Helmut Scherer, wenn sie sich in ihrem Beitrag Politische vs. persönliche Kritik: Die Darstellung von Politikern in der Nachrichten-Satire ‚heute-show‘ dem Phänomen der politischen Nachrichtensatire zuwenden. Obgleich hier mit dem Fernsehen ein ‚klassisches‘ Medium im Vordergrund steht, berührt der Beitrag doch ein Phänomen der Online-Welt, in der politische Satire, Humor und Ironie eine wichtige Rolle für die Verbreitung politischer Botschaften insbesondere in sozialen Netzwerken spielen.

Der zweite Teil des Sammelbandes befasst sich mit der Phänomen politischer Beteiligung im Kontext des Medienwandels. Mit der Fokussierung auf politische Partizipation greifen drei Beiträge ein zentrales Thema der kommunikationswissenschaftlichen Online-Forschung auf, die in den letzten Jahren immer wieder die Frage gestellt hat, wie sich politischen Beteiligung im und durch das Internet verändern (siehe u. a. Emmer, Wolling, & Vowe, 2012; Sarcinelli, 2013; Voss, 2014). Um Beteiligung an Online-Debatten geht es im ersten Beitrag von Dennis Frieß mit dem Titel: Online-Kommunikation im Lichte deliberativer Theorie. Er entwickelt ein Modell zur empirischen Analyse von Online-Debatten vor dem normativen Hintergrund der deliberativen Theorie. Der Beitrag greift die Frage auf, unter welchen Bedingungen anspruchsvolle Deliberation online ermöglicht werden kann und welche Ergebnisse aus diesem Prozess hervorgehen. Dafür werden theoretische Überlegungen der deliberativen Demokratie sowie Erkenntnis der empirischen Deliberationsforschung zusammengetragen und in ein Modell integriert. Um zukünftig besser verstehen zu können, unter welchen Bedingungen Deliberation gelingt und welche Ergebnisse daraus erwachsen, plädiert der Beitrag schließlich für vermehrte experimentelle Forschung.

Björn Klein und Olaf Jandura gehen in ihrem Beitrag Einflüsse auf die Prognosegüte von Online-Wahlbörsen am Beispiel der Online­-Wahlbörse des Handelsblatts zur Bundestagswahl 2013 der Frage nach, inwieweit die Merkmale der Teilnehmer und deren Erwartungen an den Wahlausgang einen Einfluss auf die Prognosegüte der Online-Wahlbörse haben. Die Relevanz der Frage leiten sie dabei aus der Beobachtung ab, dass die Debatte um meinungsklimaorientiertes Wählen zunimmt. Besonders die Gruppe der unentschlossenen Wähler und der Spätentscheider, die ihre Wahlentscheidung an Umfragedaten orientieren, finden in Online-Wahlbörsen neue Möglichkeiten, sich über kurzfristige Meinungsentwicklung vor der Wahl zu informieren, die klassische Umfragen nicht abbilden können.

Um den Einfluss des Internets auf die tradierte Partizipationsform der Wahl geht es schließlich auch im Beitrag Felix Flemming und Frank Marcinkowski: Der ‚trap effect‘ des Internet. Ausmaß und Folgen inzidenteller Rezeption von Wahlkampfkommunikation im Internet während des Bundestagswahlkampfs 2013. Vor dem Hintergrund zunehmender Integration des Internets und sozialer Netzwerke in die Wahlkampfstrategien politischer Parteien kommen Wähler immer öfter auch zufällig mit Wahlwerbung in Kontakt. Die Studie befasst sich mit dem Ausmaß und den Folgen dieser zufälligen Nutzung politischer Information im Internet im Kontext der letzten Bundestagswahl. Dabei werden die Determinanten unabsichtlichen Kontakts mit Wahlwerbung sowie die Auswirkungen auf das Wahlinteresse, die wahlbezogene Informiertheit und die Bereitschaft zur Wahlteilnahme betrachtet.

Der dritte Teil des Sammelbands vereint schließlich drei Beiträge, die sich im weitesten Sinne mit dem zentralen Konzept der Öffentlichkeit auseinandersetzen. Eröffnet wird dieser Abschnitt durch den Beitrag von Philipp Weichselbaum Öffentlicher Druck auf politisches Handeln und Entscheiden: Eine theoretische Konzeptualisierung. Ziel des Beitrags von Weichselbaum ist den häufig umgangssprachlich verwendeten Begriff des ‚öffentlichen Drucks‘ für den Bereich der politischen Kommunikation wissenschaftlich handhabbar zu machen. mit einem Definitionsvorschlag sowie einem Aufriss möglicher Determinanten und Konstituenten soll eine systematische Analyse öffentlichen Drucks ermöglicht werden. Diskutiert wird auch, wie das Internet als Umwelt für politische Akteure in die Konzeptualisierung einzubeziehen ist.

Mit der vielfach formulierten Befürchtung, dass Online-Medien eine Gefahr für Öffentlichkeit im Sinne einer Fragmentierung politischer Öffentlichkeit darstellen, befasst sich der Beitrag von Katharina Kleinen-von Königslöw, die die Frage nach einer Publikumsfragmentierung in der Online-Nachrichtenumgebung Österreichs stellt. In diesem Beitrag werden verschiedene Ebenen einer möglichen Fragmentierung diskutiert, ehe empirisch eine netzwerkanalytische Perspektive eingenommen wird, die letztlich keine in demokratietheoretischer Hinsicht problematische Fragmentierung nachweisen kann. Die Autorin plädiert schließlich für eine international vergleichend angelegte netzwerkanalytische Publikumsperspektive in der Fragmentierungsforschung, nicht zuletzt um problematische Grenzwerte für Fragmentierung identifizieren zu können.

Den Abschluss der Sammelbandes bildet der Beitrag von Kai Sachse und Uli Bernhard der ebenfalls die durch Online-Medien virulent geworden Problematik der Fragmentierung aufgreift. Traditionelle, partizipative und technische Selektion – welche Informationen bekommt man auf welchem Weg? Diese Frage stellen die Autoren anhand des Beispiels des ‚Euromaidan‘. Im Beitrag wird geprüft, ob verschiedene Suchstrategien – über Google, Twitter oder die Webangebote überregionaler Tageszeitungen – unterschiedlicher Bilder der Geschehnisse vermitteln. Über die Simulation einer idealtypischen Informationssuche über jeweils einen der drei Informationskanäle kann schließlich gezeigt werden, dass ein einseitiges Suchverhalten im Internet den gesellschaftlichen Diskurs über ein Thema erschweren kann.

Schließlich sei denjenigen gedankt, ohne die die Organisation der Tagung so nicht möglich gewesen wäre. Die Herausgeber des Bandes danken zuallererst der DFG-Forschergruppe ‚Politische Kommunikation in der Online-Welt‘, aus der die Konzeption für die Tagung hervorgegangen ist.

Gedankt sei der Philosophischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und der Gesellschaft von Freunden und Förderern der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf für ihre finanzielle Unterstützung und der Leitung und dem Team des Hauses der Universität Düsseldorf für ihre organisatorische Unterstützung und Gastfreundschaft. Wir danken außerdem den Herausgeberinnen und Herausgebern der Reihe ‚Digital Communication Research‘ für die Möglichkeit, diesen Band zu veröffentlichen und für die Unterstützung bei diesem Vorhaben, sowie den 19 Gutachterinnen und Gutachtern für ihre gründlichen und hilfreichen Reviews zu den 44 Einreichungen für die Tagung. Schließlich danken wir allen Tagungsteilnehmerinnen und Teilnehmern für ihre Vorträge sowie für die lebhaften Diskussionen.

Widmen möchten wir diesen Band unserem Kollegen Jens Tenscher, der im März 2015 an den Folgen eines Unfalls verstorben ist. Jens Tenscher hatte uns in seiner Position als Sprecher des Arbeitskreises „Politik und Kommunikation“ der DVPW bei der Vorbereitung der Tagung unterstützt, hilfreiche Anregungen zum Call for Papers gegeben und als Reviewer zahlreiche Einreichungen begutachtet. Sein Engagement ging aber über solche tagungsbezogenen Aktivitäten immer hinaus. 2003 war er maßgeblich an der Gründung des ‚Nachwuchsnetzwerk politische Kommunikation‘ (NapoKo) beteiligt, dem er auch in den folgenden Jahren verbunden geblieben ist. 2007 wurde von ihm die Reihe ‚Studien zur politischen Kommunikation‘ begründet, in der Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler ihre Arbeiten der Fachgemeinschaft vorstellen können. Die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses war Jens Tenscher immer ein wichtiges Anliegen, und viele, die im Bereich der politischen Kommunikationsforschung arbeiten, konnten davon profitieren. Er war zudem ein Brückenbauer zwischen Politikwissenschaft und Kommunikations- und Medienwissenschaft, in den Fachgesellschaften beider Disziplinen aktiv und als Autor und Herausgeber darauf bedacht, verschiedene Perspektiven in seine Publikationen einzubeziehen (siehe z. B. Tenscher 2011). Jens Tenscher wird uns fehlen.

 

Quellenverzeichnis

Dohle, M., Jandura, O., & Vowe, G. (2014). Politische Kommunikation in der Online-Welt. Dimensionen des strukturellen Wandels politischer Kommunikation. Zeitschrift für Politik, 61(4), 414-436. doi: 10.5771/0044-3360-2014-4-414

Emmer, M., Wolling, J., & Vowe, G. (2012). Changing political communication in Germany: Findings from a longitudinal study on the influence of the internet on political information, discussion and the participation of citizens. Communications, 37(3), 233-252. doi: 10.1515/commun-2012-0013

Henn, P., Jandura, O., & Vowe, G. (2016). The traditional paradigm of political communication research reconstructed. In G. Vowe & P. Henn (Hrsg.), Political communication in the online world. Theoretical approaches and research designs (S. 11-25). New York, London: Routledge.

Sarcinelli, U. (2013). Kommunikation und Partizipation in einer veränderten Legitimationsarchitektur. In M. Kneuer (Hrsg.), Das Internet: Bereicherung oder Stressfaktor für die Demokratie? (S. 104-122). Baden-Baden: Nomos.

Tenscher, J. (Hrsg.) (2001). Superwahljahr 2009: Vergleichende Analysen aus Anlass der Wahlen zum Deutschen Bundestag und zum Europäischen Parlament. Wiesbaden: VS Verlag.

Voss, K. (Hrsg.) (2014). Internet & Partizipation. Bottom-up oder Top-down? Politische Beteiligungsmöglichkeiten im Internet. Wiesbaden: Springer VS.

Vowe, G., & Henn, P. (2016). Fundamental methodological principles for political communication research: Validity even in the online world? In G. Vowe & P. Henn (Hrsg.), Political communication in the online world. Theoretical approaches and research designs (S. 149-169). New York, London: Routledge.

 


Philipp Henn, M.A. ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sozialwissenschaften der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Dennis Frieß, M.A. ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sozialwissenschaften der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf


Henn, P., & Frieß, D. (2016). Einführung: Politische Online-Kommunikation. Voraussetzungen und Folgen des strukturellen Wandels der politischen Kommunikation. In dies. (Hrsg.), Politische Online-Kommunikation. Voraussetzungen und Folgen des strukturellen Wandels der politischen Kommunikation (S. 11-17). doi: 10.17174/dcr.v3.1


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